Michael Ingber

  

„Innere und äußere An- und Einsichten bzgl. der Beschneidung von Männern, oder: wie ich Gegner der genitalen Beschneidung und Befürworter der ’Beschneidung des Herzens’ geworden bin“, Michael Ingber, Judaist, Akademie für politische Bildung Tutzing, Lehrbeauftragter an Universitäten in Marburg und Passau

 

Die Gründe und Hintergründe der männlichen Beschneidung sind facettenreich. Über die medizinischen und psychologischen Aspekte haben die ExpertInnen in diesem Bereich das Wort, und die Argumente gegen die Beschneidung werden m.E. immer überzeugender; mit der Zeit entlarven sich viele der Positionen der Befürworter als faktisch unbeweisbar und/oder als auf nicht-professionellen Überlegungen basiert. Meine Betrachtungsweise des Themas und Entscheidung, meine Stimme gegen die religiös-rituelle Beschneidung zu erheben, basieren auf einer Auseinandersetzung mit dem Brauch wie er im Judentum praktiziert wird. Ich bin von den Argumenten der o.g. ExpertInnen überzeugt, aber sehr wichtig scheinen mir auch die historisch- und sozial-anthropologischen Aspekte des Brauches – und nicht weniger - die Frage der Fähigkeit des Judentums, sich an Entwicklungen im Bereich des fortschreitenden Menschenbildes und der ethischen Bedeutung der Lehren der jüdischen Religion anzupassen. Diese Position im Zusammenhang mit der Beschneidung ist für mich eine neue Erfahrung, aber je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto häufiger begegne ich Stimmen, die ähnlichen Überlegungen zum Ausdruck bringen - aus meiner Sicht eine positive Entwicklung. Es wäre zu wünschen, dass eine Bereitschaft und Fähigkeit, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, nicht nur bei dieser Frage bleiben würden.